Auf Alexander von Humboldts eurasischer Reiseroute durch den Ural
Im Jahr 1829 startete Alexander von Humboldt seine eurasische Reise. Jahrzehnte waren vergangen, bevor er die schon in Amerika gehegten Reisepläne nach Asien realisieren konnte. Die Finanzierung der Expedition durch die russische Monarchie bedingte, dass Humboldt entgegen seines interdisziplinären Wissenschaftsansatzes den Interessen der russischen Regierung Folge leistete und interkulturelle oder gar soziale Betrachtungen nicht in seine Forschungen einflossen. Für Humboldt war es die letzte Chance, seine Reise durch Amerika, die ihn weit nach Westen führte, durch eine Reise nach Osten zu ergänzen, um die nötigen Vergleiche und empirischen Erfahrungen für sein wissenschaftliches Gesamtwerk zu sammeln. So verglich er beispielsweise die goldhaltigen Gegenden des Urals mit denen Neu-Granadas oder die Steppen des südlichen Sibiriens mit den Savannen des Orinokos. Diese Vergleichsmöglichkeiten waren es, die ihn zu einer globalen Sichtweise befähigten – ohne den Besuch Asiens war der Humboldtsche Kosmos nicht komplett.
Die Fakten sind bekannt: fast 19.000 Kilometer, 12.244 Pferde, Halt an 658 Poststationen, wo er häufig von deutschstämmigen Beamten empfangen wurde, von Sankt Petersburg nach Moskau, Wladimir, Nischni Nowgorod, Kasan, Perm im Ural, bis Bogoslowsk (heute: Karpinsk), Jekatarinburg, Tjumen, Tobolsk, Tara, Kainsk (heute: Kujbyschew), Barnaul im Altai und bis Baty an der chinesischen Grenze, zurück nach Semipalatinsk, über Omsk, Petropawlowsk, Miass (hier begeht Humboldt seinen 60. Geburtstag), Orenburg, Samara, Saratow und zu den Siedlungsgebieten deutscher Kolonisten, bis Astrachan am Kaspischen Meer und über Woronesh und Tula zurück nach Moskau und nach sieben Monaten wieder in Berlin. Es war eine Reise der großen Entfernungen und großen Geschwindigkeiten; Humboldt legte innerhalb dieser sieben Monate eine größere Strecke zurück als bei seiner gesamten Forschungsreise durch Amerika (1799–1804).
Im Jahr 2010 überquerte Frank Gaudlitz für sein Projekt „Sonnenstraße“ in sieben Monaten die südamerikanischen Anden auf Grundlage der Reisetagebücher Alexander von Humboldts – eine Strecke von ca. 2500 Kilometern durch Kolumbien, Ecuador und Peru, die parallel zur alten Höhenstrasse der Inkas verläuft. Die Überlagerung der historischen Wege und verschiedenen Kulturen und die Ungleichzeitigkeit von Entwicklungsprozessen standen im Mittelpunkt seines fotografischen Interesses. Zwischen 1988 und 2018 unternahm Gaudlitz regelmäßig Reisen durch die Sowjetunion und die Russische Föderation und kann auf viele wertvolle Begegnungen mit interessanten Menschen und Regionen zurückblicken. Seine fotografischen Langzeitprojekte „Russian Times“ und „Sonnenstraße“ wurden als Wanderausstellungen und in Foto-Text-Bänden veröffentlicht.
Die aus beiden Arbeiten hervorgegangenen Erfahrungen bilden für ihn die Grundlage für das folgende deutsch-russische Gemeinschaftsprojekt.
Aleksandr Sologubov, der als Publizist an der Reise teilnimmt, wurde 1973 im Kaliningrader Gebiet geboren, absolvierte in Kaliningrad ein Physik-Studium und verteidigte 2006 eine Doktor-Dissertation zur Philosophie Immanuel Kants. Seit Ende des vergangenen Jahrhunderts befasst er sich mit Fragen der Besiedlung jener Regionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Besitzer wechselten, in einem werteorientierten Forschungsprojekt. Im Rahmen dieser Arbeit, die zur Habilitation führte, forschte er auf Süd-Sachalin, der Karelischen Landenge, in Niederschlesien und im polnischen Teil Pommerns, also in Gebieten, die zuvor von der japanischen, finnischen und deutschen Kultur erschlossen worden waren.
Der Reiseroute Alexander von Humboldts folgend bereisten Fotograf und Publizist das erweiterte Uralgebiet, welches durch die dortigen Gruben und Hüttenwerke, einen zentralen Aspekt für Humboldts Expedition darstellte. Hier begrenzen sich Europa und Asien, was der geplanten Unternehmung, diebeideErdteile einschließt, einen symbolischen Charakter verleiht. Das zu erarbeitende Bild- und Textmaterial soll einen Eindruck vom Leben und den Hoffnungen der Menschen fernab der großen Metropolen Moskau und Sankt Petersburg vermitteln und das Humboldtsche Anliegen fortführen, Kontakte zu knüpfen und von anderen Kulturen zu lernen. Fotograf und Publizist verstehen sich als Teilnehmer im kulturellen russisch-deutschen Dialog. Unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen ermöglichen einen weiten Blick über Land und Leute.
Das Projekt wurde mit Mitteln des Ministeriums der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg gefördert. Besonderer Dank gebührt Dr. Stefan Stein, dem Partnerschaftsbeauftragten des Landes Brandenburg für die Ostseeregionen der Russischen Föderation.