27. und 28. September 2021
Wir haben Alexej Makarow besucht; in kleinen Werkstätten am Stadtrand von Jekaterinburg bauen er und seine Mitarbeiter einzigartige „Burlak“-Schneemobile auf großen Rädern, die schwimmen können – Fahrzeuge, die für unwegsames Gelände und für die Tundra ausgelegt sind. Sechs dieser Fahrzeuge werden zum Beispiel beim Bau der neuen russischen Station in der Antarktis eingesetzt. In den Werkstätten trafen wir Wassili Jelagin. Er stammt aus Moskau, ist Hydrogeologe und Bergsteiger. Er ist der Erfinder des Amphibien-Fahrzeugs „Jemelja“, das beide Pole der Erde erreicht hat.
29. September 2021
Am frühen Morgen erreichten wir Werchnjaja Pyschma, das wie Perwouralsk eine Arbeiterstadt ist, die ebenfalls ursprünglich aus öden Wohnblöcken beatsnad. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die Stadt dank der örtlichen Industriellen erneuert und ausgebaut. Hier befindet sich insbesondere der Hauptsitz der Ural Mining and Metallurgical Company (UMMC).
„Kupferhauptstadt Russlands“, „United by Copper“ steht auf zahlreichen Plakaten. Ein riesiger Platz in der Stadtmitte ist einer Sammlung von militärischem Gerät gewidmet.
Der nächste Ort auf dem Weg ist das Dorf Ajatskoje, das mitten in den Wäldern liegt. Humboldts Route führte durch sie hindurch. Früher gab es in der Nähe des Dorfes Gold-Minen, die jetzt erschöpft sind.
Von Ajatskoje nach Newjansk sind es etwa vierzig Kilometer. Die Straße ist schön und führt durch eine hügelige und abwechslungsreiche Landschaft. In der Ferne sind niedrige Berge zu sehen.
In Newjansk besuchen wir die Büros des Goldbergbauunternehmens „Newja“, das mehrere Goldminen in verschiedenen Bezirken der Region Swerdlowsk betreibt. Der leitende Ingenieur, Igor Sdorowets, zeigte die Arbeit der Minen in der Nähe von Newjansk – im Dorf Byngi und in der Siedlung Zementny, wo Goldseifen gewaschen werden, die über einen langen Zeitraum von den Flüssen gebildet wurden.
30. September 2021
An den Stauseen bei Fedkowka im Bezirk Newjansk ist ein Goldbagger im Einsatz, der über 80 Meter lang und mehr als 20 Meter hoch ist. Die Maschine ist fast sechzig Jahre alt. Dieser gigantische Kran ist mit Seilen an zwei Bulldozer-Ankern („dead-enders“) befestigt, die an den gegenüberliegenden Ufern stehen. Der Kapitän betätigt abwechselnd die Winden, und der Bagger wird hin und hergeführt und löst mit seinem Rüssel das Erdreich vom Boden ab. Wie ein riesiger Wurm saugt er riesige Erdklumpen auf, knetet sie durch, löst sie im Wasser auf und trennt die Goldkörner ab. Sein langer Schwanz erhebt sich in den Himmel und wirft die verarbeitete Erde aus. Das lärmende Ungetüm hat einen bescheidenen Stromverbrauch von nur 800 Kilowatt. Es dauert etwa zwei Jahre, um den Bagger an seinen neuen Standort zu bringen: Die Ausrüstung wird entfernt und der Rumpf zersägt.
Newjansk ist zwei Jahre älter als St. Petersburg. In den 1990er Jahren geriet es in Verfall, von dem es sich im Gegensatz zur zweiten Hauptstadt noch immer nicht erholt hat.
Unweit des Historisch-Architektonischen Museums befindet sich eine Ansammlung von Denkmälern, von denen eines sogar für den Ural ungewöhnlich ist. Auf dem Sockel liegt der so genannte „Bock“ – ein Haufen von mehreren Tonnen Gusseisen, der 1916 während eines Arbeiterstreiks direkt im Ofen erkaltet war.
Noch bei Tageslicht erreichten wir Nishny Tagil.
1. Oktober 2021
Ein Besuch in Laja, einem Dorf zwei Dutzend Kilometer von Nishny Tagil entfernt. Der Priester Vater Alexander, der seit mehr als zwanzig Jahren in Laja tätig ist, erzählte von dem in der Kirche aufbewahrten Archiv. Ihm zufolge enthält das Archiv Dokumente über das Leben des Dorfes aus der Zeit von Humboldts Reise. Wir besichtigten den Glockenturm, von dem aus Vater Alexander zeigte, wo während des Bürgerkriegs die gegenerischen Seiten Stellng bezogen hatten. In der warmen Stube im Glockenturm tranken wir Tee und unterhielten uns über Themen, die nichts mit der schnöden Welt zu tun hatten.
In der Nähe von Laja gab es einmal ein Lager für deutsche Kriegsgefangene. Einige blieben nach ihrer Entlassung aus der Gefangenschaft dort. Von einem von ihnen, dem Deutschlehrer Georgi Christianowitsch Pister, erzählte uns sein ehemaliger Schüler. Der fünfundsechzigjährige Mann hatte die die Fremden gesehen und war herausgekommen, um sich mit uns zu unterhalten.
2. Oktober 2021
Am Morgen machten wir uns zusammen mit Dmitry Letnikov, dem Ortsvorsteher der Gemeinde Gornouralsk, auf den Weg in Richtung Murzinka.
Unterwegs besuchten wir den Friedhof in Nikolo-Pawlowskoje, auf dem die im örtlichen Krankenhaus verstorbenen Rotarmisten begraben sind. Die Nummer des Krankenhauses stimmt mit der Anzahl der Beerdigten überein – 714. Im vergangenen Jahr hat Letnikow die Gedenkstätte umfassend restauriert.
Während des Großen Vaterländischen Krieges gab es im Ural keine Kampfhandlungen. Aber es gibt nicht wenige Gräber von Soldaten, die in Lazaretten im Ural gestorben sind. Es gibt auch viele Gedenktafeln mit den Namen derjenigen, die in den Krieg zogen und nicht zurückkehrten.
Murzinka ist ein altes Dorf im Ural, in dem die Menschen früher nach Halbedelsteinen suchten. Hier gibt es ein reichhaltiges mineralogisches Museum (benannt nach dem Mineralogen Alexander Fersman), das auf den Sammlungen der Anwohner beruht. Nicht weit vom Dorf entfernt befindet sich der Berg Taljan, der über drei Jahrhunderte hinweg von Halbedelsteinschürfern durchlöchert wurde. Außer den alten Stollen gibt es viele frische Gruben, die von Amateursuchern hinterlassen wurden.
3. und 4. Oktober 2021
Die Stadt Kuschwa liegt in der Nähe des Berges Blagodat. Der Berg existiert eigentlich nicht mehr. Seit fast dreihundert Jahren wird er abgegraben. Es gibt ein riesiges Loch im Boden, das 300 Meter tief und einen Kilometer im Durchmesser ist, mit riesigen Geröllhalden daneben.
Dank diesem Berg voller Erz mit hohem Eisengehalt (bis zu 60 Prozent) entstand eine Stadt, in der es sich gut leben ließ. Seit 2003 ist das Bergwerk praktisch geschlossen, die Vorkommen sind erschöpft. Ich fragte eine Dame mittleren Alters, die mit ihrem Hund spazieren ging, ob sie hier geboren sei und was sie kurz und bündig über die Stadt sagen könne. Ja, sie sei hier geboren, aber sie würde am liebsten fortgehen.
Werchnjaja Tura ist in einem hügeligen Gelände entsprechend malerisch gelegen.
Die Einheimischen sagen, dass es am Stadtrand einen deutschen Friedhof gibt, der sich neben dem städtischen Friedhof befindet. Der Priester Vater Wadim bestätigte dies und begleitete uns zu der Stelle, an der wir ein großes schwarzes Kreuz mit quadratischem Querschnitt und einer bescheidenen Steinplatte darunter sahen, auf der in ungarischer und russischer Sprache zu lesen war: „Hier liegen ungarische Kriegsgefangene, Opfer des Zweiten Weltkriegs“. Aus irgendeinem Grund wird er als deutscher Friedhof bezeichnet (obwohl es hier auch deutsche Kriegsgefangene gab).
Eineinhalb Dutzend Kilometer von Werchnjaja Tura entfernt liegt Krasnouralsk, eine 1930 gegründete Kleinstadt mit einfachem Grundriss und gewöhnlichen Gebäudeblocks. Das Stadtbild ist geprägt von dem Eisenkombinat „Swjatogor“. In der Nähe des Werks gibt es einen großen Platz mit militärischen Denkmälern, der 1967 angelegt wurde. Vielleicht sogar zu groß für eine so kleine Stadt. Dem ursprünglichen sowjetischen Denkmal mit den Namen von Hunderten von Einwohnern von Krasnouralsk, die im Großen Vaterländischen Krieg gefallen sind, wurde das Denkmal für ein halbes Dutzend Einwohner der Stadt hinzugefügt, die in den „lokalen Konflikten“ der 1980-90er Jahre gefallen sind. Kürzlich wurden mehrere Kampffahrzeuge aus verschiedenen Zeiten aufgestellt, sowohl zu Lande als auch in der Luft und auf dem Wasser.
5. und 6. Oktober 2021
Von Kuschwa nach Werchoturje sind es über 120 km. Die Straße führt fast durchgehend durch den Wald, Siedlungen sind selten. Auf der Suche nach Fotoobjekten bogen wir auf eine Nebenstraße zum Dorf Poludjonnaja, das laut Schild sechs Kilometer entfernt war. Das Dorf erwies sich als sehr klein und uninteressant zum Fotografieren: ein Dutzend neuer Häuser auf Stelzen und ein paar Kühe auf einem kleinen Feld. Am Ortseingang allerdings waren direkt an der Straße im Wald ein paar Gräber zu sehen. Auf den alten Grabsteinen sehen wir Fotos und Metallschilder mit deutschen Namen: Russlanddeutsche, die in den 1960er bis 1980er Jahren begraben wurden. Daneben auch Grabstellen mit russischen Namen.
Die Stadt Werchoturje, die älteste Stadt im Ural, wurde 1590 als Hauptstadt der Region gegründet. Die Stadt hat sich diesen Status jedoch nicht bewahrt. Das jüngere Jekaterinburg trat an an ihre Stelle.
Die gewesene Hauptstadt des Urals liegt an einer Sackgasse, zwei Dutzend Kilometer von der großen Fernstraße R352 Jekaterinburg – Serow entfernt. Die Transportwege führen nicht durch Werchoturje.
Auf dem felsigen Hochufer befindet sich die Festung – der Kreml, der die zentrale Funktion von Werchoturje bezeichnet. Die Mehrheit der Bevölkerung existiert im privaten Sektor, in Holz- und teilweise Steinhäusern. Dank der Bemühungen der Behörden konnte das Stadtzentrum renoviert werden. Schon von alters her zogen die Kirchen und Klöster von Verkhoturye Pilger an.
Nach einer Übernachtung in Werchoturje machten wir uns auf den Weg nach Alapajewsk. Wir kehren auf den Serow-Trakt zurück, da die vom Navigationssystem vorgeschlagenen Alternativen nicht wirklich existieren. Es gibt zwar eine Reihe von Straßen, meist Sandpisten, die durch den Wald führen, die aber selbst für einen „Patriot“ unpassierbar sind.
Die Brücke der Straßenkreuzung bei Krasnouralsk ist mit einem großen Schriftband mit der Aufschrift „Es lebe das einige Russland“ geschmückt. Es ist durchgehend in Großbuchstaben geschrieben, so dass man nicht erkennen kann, ob es sich um das Land oder die Partei handelt.
Die dreihundert Kilometer lange Fahrt dauerte den ganzen Tag. Aber auf der Strecke von Nishni Tagil aus trafen wir auf einige malerische Dörfer und verbrachten viel Zeit damit, sie kennen zu lernen: buchstäblich von einem Märchenhaus zum nächsten.
In der Dunkelheit kamen wir in Alapajewsk an.
7. Oktober 2021
Das Hotel in Nishnjaja Sinjatschicha bei Alapajewsk leerte sich morgens. Die Dauermieter hatten sich zu ihren Arbeitsplätzen gegangen, um erst am Abend wieder hierher zurückzukehren.
Als wir durch Alapajewsk fuhren, fiel mir ein altes sowjetisches Symbol ins Auge: ein rostiger Hammer und eine Sichel auf einem großen runden Fundament. Gegenüber befand sich ein ähnliches Fundament, auf dem jedoch ein Wasserturm errichtet worden war.
Im örtlichen Museum erfuhr ich von einem Mitarbeiter, dass 1929 mit dem Bau des Hüttengiganten in Alapaevsk begonnen worden war. Die runden Fundamente sind die unvollendeten Hochöfen. Nach zehn Jahren wurde der Bau dieses Werks eingestellt und an seiner Stelle eine Werkzeugmaschinenfabrik errichtet, die bei Kriegsbeginn bereits in Betrieb war. 1949 wurde auf dem Fundament eines der Hochöfen ein Wasserturm errichtet, der die Siedlung des Werks mit Wasser versorgte.
In der Stadt befindet sich ein Museum des Komponisten Pjotr Tschaikowsky. Im Museum befindet sich unter anderem ein Flügel aus dem Jahr 1862 von der Firma GEBAUHR aus Königsberg. Wie das Klavier hierher kam, ist unbekannt.
8. und 9. Oktober 2021
Wir überquerten über eine Brücke einen kleinen und unscheinbaren Fluss namens Meshniza. Früher verlief hier die Grenze zwischen den Gouvernements Perm und Tobolsk, zwischen dem Ural und Sibirien.
Tjumen warnt schon am Eingang durch ein Schild, dass die Stadt vorbildliche Straßen hat. Und so war es dann auch. Perfekter Asphalt.
In Tjumen und seinen Vororten gibt es eine Vielzahl von Baustellen. Schon am Stadtrand werben zahlreiche Reklameschilder für Häuser, die in neuen Vororten zum Verkauf stehen.
10. und 12. Oktober 2021
Von Tjumen nach Tobolsk führt die Straße R404. Auf einer Länge von 250 km ist das eine ausgezeichnete Strecke, die an einigen Stellen fertiggestellt ist, an anderen Stellen wird noch gearbeitet.
Das Dorf Pokrowskoje, der Geburtsort von Grigori Rasputin, liegt direkt an der Fernstraße. Es gibt ein privates Museum über Rasputin. Hinter einem hohen Zaun ist eine exaltierte Frauenstimme zu hören – eine Museumsführung.
Das alte Tobolsk kann sich glücklich schätzen, wenn man es mit Werchoturje vergleicht. Die Stadt liegt an der großen Straße, die weiter nach Norden nach Chanty-Mansijsk führt. Die große Straße bedeutet Leben. Außerdem liegt Tobolsk an einem großen schiffbaren Fluss, dem Irtysch. Nicht weit von der Stadt entfernt vereinigt sich der Irtysch mit dem Tobol und wird dadurch noch mächtiger.
Tobolsk liegt auf zwei Ebenen. Sein unterer Teil liegt auf der Niederung des Irtysch und ist durch einen Deich vom Fluss getrennt. Bei den meisten Gebäuden handelt es sich um private Wohnhäuser. Der obere Teil von Tobolsk liegt fünf Dutzend Meter höher. Über einem hohen Felsen erheben sich der weiße Kreml und die goldenen und blauen Kirchenkuppeln. Dieser Teil der Stadt ist hauptsächlich mit Hochhäusern bebaut.
Entsprechend der Haupstadt Werchoturje im Ural ist auch Tobolsk in Sibirien die ehemalige Hauptstadt. Heute hat die Stadt, ebenso wie Werchoturje, den bescheideneren Status eines geistigen Zentrums.
Tobolsk ist der Endpunkt unserer Route im Jahr 2021. Von hier an geht es wieder heimwärts.